Fuzine – Tuk (9 h, 1000 M aufwärts, 850 M abwärts, 28.0 km)

Unsere geplante Donnerstagsetappe haben wir so angepasst, dass wir mehrheitlich auf Forststrassen gehen können. Ein Tag ohne Brennesseln und Gestrüpp! Doch noch tief im Vormittag wird unser Weg durch Holzarbeiten versperrt. Nun müssen wir doch über den Bitoraj und weiter auf der Originalroute.

Aufstieg zum Bitoraj
Lohnender Gipfel

Wir sind jedoch ganz glücklich darüber, denn der Aufstieg ist toll und auch die Weiterwege ganz passabel. Oder haben wir uns schon daran gewöhnt? Für einen kurzen Abschnitt stülpen wir dann doch wieder die Regenhose über, aber es wäre nicht nötig gewesen.

Regenhosenwandern
… oder Baumstämme wollen überklettert werden
und überall wuchert es
Weglos aber nicht reizlos

Und plötzlich hören wir Äste knarren und da steht er: rund 30 Meter entfernt, helles Fell und sehr imposant… der lang ersehnte Bär! Er freut sich jedoch nicht so sehr wie wir über unsere Anwesenheit und macht sich schleunigst davon ins Dickicht. Für ein Foto hat der kurze Blickaustausch nicht gereicht, aber gesehen ist gesehen.

Der Schwalbenwurzenzian rennt uns nicht davon
und auch der Schwalbenschwanz ist ein geduldiges Fotosujet

Als wir am späten Nachmittag Tuk erreichen, stossen wir auf verschlossene Türen bei der Hütte, obwohl noch ein abgestandenes Glas Bier auf einem Tischchen vor sich hin gärt. Ein hilfsbereiter Nachbar ruft die Wirtin an und bestätigt uns, dass wirklich geschlossen ist. Sein Bruder fährt uns dann ins nächste Dorf, dort gibts Übernachtungsmöglichkeiten. Aber alle sind besetzt. Zurück in Tuk füllen wir beim freundlichen Nachbarn unsere Wasserbehälter auf und stellen unser Zelt wieder einmal auf der Wiese bei der Kirche auf.

Eintuckern in Tuk
Tuk – Senj (18 1/2 h / 1010 M aufwärts / 1880 M abwärts / 62.4 km)

Wir verabschieden uns früh von unseren ewig ruhenden Schlafnachbarn gleich neben der Kapelle an diesem Freitag. Die herbstliche Morgenstimmung im sanften Licht wirkt beruhigend und in rhythmischem Schritt erreichen wir noch vor dem Mittag das kleine Naturreservat Bijele und Samarske stijele. Das schwer zugängliche und wenig bekannte Reservat ist neu unter den best of der Wurzelkocher-Geheimtipp!

Matić poljana
Gedenkstätte des 2. Weltkrieges in Kroatien
Herbstliche Morgenstimmung …
… im sanften Licht

Kurze Zeit später stehen wir auf dem ersten Gipfel, unzählige rund 50 Meter hohe Karstformationen gucken an verschiedenen Stellen, teils schön angeordnet, dann wieder absolut willkürlich verteilt, aus dem dichten Waldteppich.

Dies sind die schön angeordneten Karstformationen

Erstmals in Kroatien schlägt unser Wanderherz auf Hochtouren, die nächsten 4 km beschäftigen uns über 4 Stunden auf abwechslungsreichen Wegen gespickt mit Wohlfühl-Kraxelei. Und wir kreuzen heute mehr Wanderer als an allen anderen Tagen in Kroatien zusammen, verständlich.

Stundenlanges Kraxeln
Wo gehts hier hoch?
Berggeissen-Konditionen
Sattsehen kaum möglich
Selbstversorgerhütte Ratkovo sklonište; leider sind wir bereits zur Mittagszeit dort und damit zu früh zum Bleiben
Beim Aufstieg auf den Bijele stiele, unser 3. Gipfel

Um 17 h erreichen wir unser Tagesziel, die Hütte Dragutin Hirtz .Enttäuscht erkennen wir, dass wir auch heute ohne Bewirtung auskommen müssen. Da hellt auch das Via Dinarica Schild an der Hütte unsere Stimmung nicht sonderlich auf.

Zum ersten Mal treffen wir bei der geschlossenen Hütte Hirtz auf das Via Dinarica Schild

Geld ausgeben in Kroatiens Berge ist wirklich anspruchsvoll. Sollen wir trotzdem hierbleiben und unser Zelt aufschlagen? Dafür ist es noch etwas früh, so füllen wir unsere Wasserbehälter aus dem Ziehbrunnen und ziehen selber auch weiter.

Beim Brainstorming unserer verbleibenden zwei Etappen vor dem Abstieg ans Meer sind wir uns einig: unser Bedarf an Gestrüpp-Walking, Brennnessel-Stalking und Weg-Such-Talking ist sehr gut gesättigt. Wir werden die nächsten zwei Etappen auf Forststrassen umwandern, denn die Kommentare zum Wegzustand auf der Via Dinarica sind sehr negativ.

So steigen wir ab aus dieser imposanten Karstwelt zurück ins Dickicht des Waldes. Und ein dunkler Gedanke umspinnt uns plötzlich: wir könnten ja bis Morgen durchwandern! Schon vor einigen Wochen haben wir diese Idee angesprochen und jetzt setzen wir sie einfach um. Es ist die perfekte Nacht dafür, denn wir sind ausgeschlafen, die Wege führen nicht durch anspruchsvolles Gelände, der Mond ist auf gutem Weg zu seiner Völle, der Himmel ist offen und wir fühlen uns immer noch frisch. Plan steht!

Kurz vor dem Eindunkeln wärmen wir uns noch einige Kalorien.

Henkersmahlzeit vor dem Nachtmarsch

Neben dem lottrigen Essbank hätte es auch ein perfektes Plätzchen für unser Zelt. Wir überlegen nur kurz und verwerfen dann den Gedanken sofort wieder. Los geht‘s!

Der Mond scheint uns sanft ins Gesicht und gibt die Richtung vor.

Mit dem Mondschein durch die Nacht

Dennoch marschieren wir mit Stirnlampen, da die Bäume den Lichtschimmer teilweise aufsaugen. Bereits um 23 Uhr haben wir eine gute Portion Kilometer vernichtet. Die Ruhe der Nacht umgarnt uns, die Schatten im Lichtkegel tanzen gekonnt im Kreis. Auch um 1 Uhr früh sind wir noch hellwach, ganz plötzlich ertönt in unmittelbarer Nähe ein undefinierbares Geräusch von aufgescheuchten Tieren. Mit der Stirnlampe versuchen wir etwas zu erkennen und da klappern unzählige Hufe direkt vor uns vorüber. Wir haben rund 15 Pferde aufgeweckt, welche hier mit ihren Jungen ohne Gehege ihre Nachtruhe genossen. Unsere Herzen poppern überdimensional, der erste Schreck ist überwunden, da rast die ganze Herde in einem Zug wieder vor uns über die Strasse. Uff, zum Glück flüchten sie. Wir gehen weiter und nochmals wiederholt sich das Spiel! Schon ein wenig unheimlich, so im Dunkeln dieser Naturkraft ausgeliefert zu sein. Scheinbar hat die Herde beim dritten Fluchtversuch einen geschützten Platz gefunden und wir gehen mit wachen Fühlern weiter.

Ab 2 Uhr werden die Stunden gummig, die Füsse beginnen zu schmerzen und die Pausen nehmen sprunghaft zu. Doch zwei freie, bellende Hunde bei einem kleinen Weiler holen uns nochmals komplett aus der Wandertrance heraus. Glücklicherweise haben sie noch mehr Angst vor zwei leuchtenden Köpfen als wir vor ihnen.

Bald danach lassen wir den Wald hinter uns, bei Tageslicht wäre das Meer nun direkt unter uns. Wir gehen auf etwa 900 MüM nochmals rund zwei Stunden, das Rauschen der Windräder begleitet uns, der Mond verabschiedet sich orangefarben hinter der Erdkugel und über Sloweniens Gipfel leuchten einzelne Blitze. Die Vegetation hat sich komplett verändert, aus dem feuchten Dschungel sind wir direkt in die trockene Steppenlandschaft marschiert.

Um 5 Uhr, inzwischen sind wir bei Samstag, erreichen wir endlich die Bucht von Senj, fast alles schläft noch.

Lichtermeer: Blick auf Senj beim Abstieg
Nicht nur unser Zustand ist handgeschrieben

Wir setzen uns ans Schiffsquai, erlösen unsere Füsse aus ihrem Gefängnis und nehmen zufrieden den langsam einkehrenden Tag in Empfang.

Durchgewandert ist nicht durchgezecht

Diese Nacht werden wir nicht so schnell vergessen, aber auch nicht so bald wiederholen. Die Wahrnehmung verändert sich stark im Dunkeln und die zunehmende Müdigkeit steuert auch ihren Teil bei. Nun gönnen wir uns einige Ferientage am Meer und lassen das vorhergesagte stürmische Wetter vorbeiziehen.

Erfrischendes Bad im Meer
Erfrischende Pause am Meer, immer noch ungeschlafen
Die Sonne geht schon zum zweiten Mal ohne uns unter, wir schauen ihr von unserem Appartement aus geduldig zu

2 Kommentare

Jan · September 2, 2020 um 06:56

Gratuliere euch – Hab gerade mal wieder geschaut, wo ihr gerade seid. Unglaublich, wie weit man in dieser Zeit zu Fuss kommt 🙂 Wünsche euch weiterhin eine gute Zeit! Lg, Jan

Urs Meissner · August 30, 2020 um 14:13

Hallo Ihr Zwei,
Mit einer Freude lese ich Euren erfrischenden Blog. Ich bin mir sicher, das Ihr mittlerweile angekommen seid und dass das Gewicht der Rucksäcke schon längst der Leichtigkeit des Augenblickes gewichen ist. Das Euch die Füsse tragen, wohin Euch der Gedanke führt.

Lieber Gruss
Urs

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