Wir verlassen Porezen am Montag mit dem Wissen, dass wir für längere Zeit nicht mehr so hoch schlafen werden, denn wir werden uns nur noch auf Höhen zwischen 400 – 1200 MüM bewegen.

Porezen auf 1600 MüM

Entsprechend schwitzig ist es, das Wasser drückt uns aus allen Poren. Die Wege sind dafür einfacher zu gehen, teilweise müssen wir auch auf Teerstrassen marschieren, aber auch Forststrassen und dann wieder kaum begangene, recht verwilderte Abschnitte sind dabei.

Der Weg führt uns durch sehr unterschiedliches Gelände
Stundenlang dem Wald entlang

Auch Gipfelüberschreitungen stehen noch fast täglich auf der Routenplanung, auf dem Bevkov hat es sogar ein originelles Gipfelschnaps-Selbstbedienungs-Schränklein.

Gipfel-Schnaps in Selbstbedienung
Na zdravje auf dem Bevkov

In den kleinen Dörfern erhalten wir erste Eindrücke davon, wie die Menschen in Slowenien leben. Eigentlich gleicht das Landschaftsbild demjenigen der Schweiz. Die Landwirtschaft wird jedoch deutlich sanfter betrieben und allgemein ist das Land weniger dicht besiedelt. Uns fällt positiv auf, dass Sauberkeit einen hohen Stellenwert einnimmt. Auf einem Hof können wir Käse einkaufen, auf einem anderen versucht der nach Kartoffeln grabende Landwirt mit Händen und Füssen eine Kommunikation mit uns zu starten.

Immer wieder passieren wir Weiler und kleine Dörfer
Wir stolpern über Hühner und betrachten staunend die grossen Gärten

Unser Wasserkonsum ist deutlich erhöht und natürliche Quellen in diesem karstigen Gebiet sind rar. Zum Glück kommen wir regelmässig an Brunnen oder Wasserpumpstellen vorbei.

Wasser liegt hier nicht immer zum Greifen nah
Die Quelle dieses Sees entspringt in einer 160 Meter tiefen Höhle

Die Wetterlage ist schwül-heiss und so entlädt sich täglich ein Gewitter, mal nah und mal fern. Unsere erste slowenische wilde Campnacht verbringen wir auf einer frisch gemähten Wiese nahe dem Waldrand. Die Haselmäuse feiern in der Nacht eine Nuss-Party und halten uns mit ihren Geräuschen lange wach. Wir fragen uns, wann wir wohl wieder einmal Party feiern und länger aufbleiben als Fuchs und Hase um die Ecke. Der Bär, den Thomas sich so sehr zu sehen wünscht, hält sich noch verdeckt.

Erste slowenische wilde Campnacht

Das Partisanenlazarett Franja liegt am Montag direkt auf unserer Wegstrecke, wir sind beeindruckt von diesem Ausschnitt aus Sloweniens Geschichte im 2. Weltkrieg. So haben Partisanen im Kampf gegen Fachismus und Nazismus geheime Lazarette an schwer zugänglichen Orten wie z.B. Schluchten erstellt und unter heute kaum mehr vorstellbaren Umständen verletzte Partisanen, Angehörige der alliierten Truppen und andere Hilfsbedürftige mit viel Einfallsreichtum manchmal über Wochen und Monate behandelt, operiert, Wunden versorgt… sogar ein Röntgengerät war verfügbar.

Etwa ein Dutzend solcher Hütten wurden gut getarnt ganz hinten in einer Schlucht erstellt
Behandlungsraum für die freiwilligen Ärzte

Am Dienstag sind wir erstmals in einer grösseren Ortschaft. Wir sind richtig glücklich, dass wir in Idrija seit einer Woche wieder einmal duschen können. Und die Pizza vervollständigt unsere Glücksgefühle noch. Unsere Hosen sitzen schon recht locker, obwohl wir nie ein Hungergefühl haben und auch täglich mit süssen Snacks grosszügig sind. Und ja: heute haben wir die ersten 1000 km zu Fuss geknackt, das wäre doch ein Grund für eine Haselnussparty!

Die ersten 1‘000 km zu Fuss sind geschafft inklusive 46’000 Höhenmetern

Auch am Mittwoch begegnen wir der slowenischen Geschichte: in Hrušica sind im Freilichtmuseum noch Maueransätze aus dem 3. Jahrhundert zu besichtigen, welche damals zum römischen Reich gehörten. Zudem werden wir auf der Speisekarte ins römische Reich versetzt. Thomas hat nun doch seine erste Bärenbegegnung!

Bärenbraten auf der Speisekarte

Die Bärenjagd in Slowenien ist legal, da die Population in den letzten Jahren stark angestiegen ist (Stand 2018 ca. 750 Tiere). Mit den Einnahmen aus der Jagd werden Bauern für ihre Verluste entschädigt, um die hohe Akzeptanz für Raubtiere zu erhalten.

Am Donnerstag wandern wir nochmals durch Sloweniens Geschichte. In Predjama führt der Weg bei der eindrücklichen Höhlenburg vorbei, welche aus dem 15. Jahrhundert erzählt. Sie ist in gutem Zustand und die Besichtigung versetzt weit weg von der Fühlschmi-Gspürschmi-Gesellschaft in einen doch sehr harten und kalten Alltag. Da sind wir doch gerne Wurzelkocher und zünftige Warmduscher!

Die Höhlenburg von Predjama mit modernem Burgfräulein auf der Flucht

Das zweitgrösste Karsthöhlensystem des Landes ist Teil des Baus und beherbergt 14 verschiedene Fledermausarten, welche uns bei der Besichtigung um die Ohren fliegen. Zum Glück funktioniert ihr Ultraschallsystem.

Fledermaus oder Stalaktit?

In dieser Region gibt’s mehr Höhlen als Shoppingtempel, so besuchen wir am Freitag bei einem Tagesausflug die wirklich sehr eindrückliche und imposante Höhle von Škocjan, in welcher im grossen Saal beinahe der Kölner Dom hinein passen würde. An dieser Stelle taucht der Fluss Reka in die Unterwelt und bildet den grössten unterirdischen Canyon Europas. Der Fluss kommt erst in Italien, kurz vor dem Eintritt in die Adria wieder zum Vorschein. Fotografieren ist in der Höhle verboten, umso mehr gelingt es auf dem 3 kilometerlangen Fussmarsch unter Erde, aus all den über hunderttausende von Jahren entstandenen Steingebilden, eigene Geschichten auszudenken.

Der Fluss Reka hat über hunderttausende Jahre die Unterwelt von Škocjan geformt

Wir sind nun seit 2 1/2 Monaten unterwegs. Eigentlich machen wir ja jeden Tag dasselbe: aufstehen, weiterwandern, essen, schlafen. Deshalb zur Abwechslung ein emotionaler Einblick:

Was Thomas besonders gefällt: am Morgen mit dem Kamm von Sonja durchs Haar zu streifen bis alle Traum-Knoten gelöst sind.

Was Sonja besonders gefällt: Mit M&M‘s süss und bunt in den Tag zu starten, egal wieviele Kalorien die haben.

Was Thomas überhaupt nicht gefällt: wenn sein Körper mehr Flüssigkeit über den Kopf ausscheidet als über die Harnröhre.

Was Sonja überhaupt nicht gefällt: Beim Eindunkeln im Zelt nicht mehr unterscheiden zu können, ob die mysteriösen Geräusche von einer Haselmaus oder einem Schlafbär kommen.

Was Thomas grossen Spass bereitet: Beim Eindunkeln im Zelt zu liegen und die Geräusche der Tiere mit undefinierbaren Lauten zu kommentieren.

Was Sonja grossen Spass bereitet: Wenn der perfekte Schlafplatz gefunden ist und der systematisch eingeräumte Inhalt des Rucksacks total chaotisch im Umkreis von 10 m2 verstreut werden kann.

Diesen Gegenstand vermisst Thomas: Rasieren mit stumpfen Klingen und die Einsicht, dass eine wollige Haarpracht Wärme abgibt, führt dazu, dass der Haartrimmer und gutes Rasiermaterial schon noch praktisch wären: ca. 300 Gramm Zusatzgewicht.

Diesen Gegenstand vermisst Sonja: zum Glück können wir immer noch regelmässig sehr geschmackvoll essen, sonst würden ihr wohl bald Gewürze, Kräuter und die Vielfalt auf dem Speiseplan fehlen: variables Zusatzgewicht.

In Razdrto erreichen wir ein erstes Zwischen-Ziel. Hier endet für uns der Zubringer zur Via Dinarica und unser Trail geht erst richtig los.

Erstes Ziel erreicht und gleichzeitig Start zur Via Dinarica

Doch vorher gönnen wir uns eine Pause auf dem kleinen Camping mit Swimmingpool.

Tiefenreinigung im Swimmingpool

In etwa 10 Tagen sollten wir in Kroatien einreisen, dieser Grenzübergang sieht momentan auch für Schweizer gut aus. Die weiteren Länder Bosnien und Montenegro sind noch etwas kritisch, aber wir lassen uns nicht einschüchtern und gehen weiter Schritt für Schritt unserem Ziel Albanien entgegen, dabei leben wir voll im Jetzt, wer weiss schon was Morgen sein wird?

Von Porezen nach Razdrto

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