Nestorio – Kastoria / Tagesmotto: Im Schongang

Halleluja, es fährt ein Bus von Nestorio nach Kastoria! Hermes, der griechische Gott der Reisenden, ist uns wohlgesinnt und erspart uns 26 km bei Tagestemperaturen von bis zu 36 Grad auf Asphalt. Unsere Füsse und der Hypothalamus, weltweiter Gott der Temperaturregulation, danken‘s uns…

Kastoria: tolle Hanglage und von Wasser umgeben

So erreichen wir das auf einer Halbinsel liegende Klein-Städtchen Kastoria mit rund 13’000 Einwohnern ganz unverschwitzt bereits um 9 Uhr morgens. Bei einem Cappuccino freddo suchen wir uns ein tolles Zimmer in der Pension Filoxenia, leicht erhöht im Hang, wen wunderts… höher ist auch hier angesagt!

Bei Cappuccino freddo lassen sich gute Entscheide fällen
Zimmer mit Ausblick

Eigentlich als Ruhetag gedacht, möchten wir dennoch die Stadt erkunden. Kastoria hat eine bedeutende Vergangenheit, davon erzählen unter anderem noch gut erhaltene Herrschaftshäuser und 72 byzantinische Kirchen.

Herrschaftshaus aus dem 18. Jahrhundert
Unglaubliche Kirchendichte: eine von 72 byzantinischen Kirchen
Restaurierte Kirchenkuppel
Ein guter Moment um mit einer Kerze für unser Reiseglück zu danken und an unsere Freunde und Familie zu denken
Schön bemalte Pflanzentöpfe mit verdörrtem Inhalt

Aber die goldenen Tage liegen deutlich zurück, viele zerfallene Gebäude und auch unzählige Immobilien, welche zum Kauf angeboten werden, sprechen eine auch für uns verständliche Sprache.

Garten im Wohnzimmer
Wer hier parkiert gehört wirklich zu den Grünen

Zum Baden lädt das schlammige Wässerchen allerdings nicht ein. Die menschlichen Fäkalien, welche wohl in den See geleitet werden, sind jedoch nährstoffreich und locken entsprechend weniger heikle Lebewesen an.

Rasenboot?
Den Pelikanen gefällt’s im nährstoffreichen Gewässer
Familie Blasshuhn nestet und vermehrt sich prächtig
Die Kormorane halten Ausschau nach frischem Fisch
Da war jemand schneller!
Kastoria – Neos Ikismos / Tagesmotto: Überwindung

Ein Grund, weshalb wir unseren Weg über Kastoria gewählt haben, sind die vorhandenen Geldautomaten. Seit Kalambaka ist dies die erste Möglichkeit, Nötchen zu beziehen. Und in den Dörfern ist oft Bares einzig Wahres. Mission Geld- und Nahrungsbeschaffung ist erfüllt und so finden wir keinen plausiblen Grund, um noch eine Nacht anzuhängen, fast ein bisschen schade.

So ziehen wir nach dem Spätstück erst um 9 Uhr etwas widerwillig los, sind dann aber rasch wieder im Wandertrott. Noch lange können wir immer wieder auf Kastoria zurück schauen und zusehen, wie die Häuser immer kleiner werden.

Kastoria in der Bucht verschwindet immer mehr

Es wird ein erstaunlich effizienter und angenehmer Trailtag: wir können mehrheitlich guten Wegen folgen, die Steigung ist angemessen, die Temperatur mit leichter Brise erträglich und eine Gruppe Wildschweine bietet uns eine tolle Showeinlage. Wir können ihnen längere Zeit ungestört zuschauen, ohne dass sie uns erspähen.

Es dauert lange, bis die Wildschweine uns entdecken und sich aus dem Staub machen

Das Geisterdorf Kranionas ist in dieser Gegend nur eines von mehreren Dörfern, welche fast komplett verlassen sind und immer mehr verfallen. Die Bewohner sind Mitte des 20. Jahrhunderts aus wirtschaftlichen Gründen in die Städte oder auch ins Ausland abgewandert.

Die leerstehenden Häuser verfallen immer mehr
Durchzug als Dauerzustand

Aber immerhin gibts ganz in der Nähe im neuen Dorf Neos Ikismos ein Gasthaus und wieder einmal hilft uns Englisch kein bisschen, aber auf Deutsch gehts dann tip top, denn der Wirt hat 11 Jahre in Deutschland gearbeitet.

D‘Seel chli lo bambele loh

Wenn’s zeitlich einigermassen passt, so möchten wir Übernachtungsangebote wie diese berücksichtigen. Auch hier leidet das Gastgewerbe enorm, die staatliche Hilfe ist tief und somit jede Einnahme willkommen. Wir haben kein definiertes Reisebudget, kommen jedoch mit rund EUR 1‘000 pro Monat und Person gut durch, ohne dass wir uns einschränken müssten.

Ein Rosaflimmer liegt und tönt am Horizont in Neos Ikismos

Am Abend auf der gut besuchten Gartenanlage unseres Gasthauses erhalten wir dann nochmals eine Showeinlage: eine Gruppe Einheimischer singt nach dem Essen zuckersüsse Lieder mit Mikrofon und Verstärker. Uns erstaunt einmal mehr, dass die etwas hart wirkenden Männer in den hochemotionalen Liedern fast verschmelzen. Parallel dazu verfolgen wir das EM-Viertelfinalspiel Spanien – Schweiz im Live-Ticker und stellen uns in allen Farben ausgeschmückt vor, wie wir bei einem Schweizer Sieg in einem Taxi stundenlang laut hupend, die Schweizer Flagge aus dem Fenster haltend und ‚Trittst im Morgenrot daher’ johlend durch Neos Ikismos chauffiert werden. Das wird uns allen (zum Glück) erspart…

Mit den schnulzigen Karaoke-Gesängen in den Ohren dösen wir langsam weg, denn wir wollen wieder früher los am nächsten Morgen.

Neos Ikismos – Mikrolimni / Tagesmotto: Alles klar!

Unser heutiges Tagesziel ist definiert: wir möchten an den Prespa-See nach Mikrolimni um dann am nächsten Tag weiter auf die Halbinsel Agios Achillios, hoffentlich per Boot und nicht zu Fuss der Strasse entlang!

Bald schon drohen uns dunkle Wolken mit etwas Abkühlung und Feuchtigkeit, doch auch dies sind leere Versprechen.

Die dunklen Wolken bleiben unverrichteter Dinge

Aber der Weg führt grösstenteils durch den Wald, zuerst noch auf Forststrassen, welche sich immer mehr verlieren und zu verschlungenen Pfaden werden. Wir rechnen jeden Moment damit, dass der Räuber Hotzenplotz hinter einem überwucherten Baum hervorguckt und hören auf, jeden Bärenkot zu bewundern.

Durch den Märchenwald
Honigproduktion: die Bienenkästen sind mit einem Fitzdraht eingehegt zum Schutz vor Bären
Feldarbeit noch von Hand: Bohnenstangen stellen

Erst in Mikrolimni können wir erste Blicke auf den wunderschönen Prespa-See werfen. Auf der einladenden Terrasse des Restaurants mit kleinem Sandstrand und Mikro-Hafen verlängern wir dann den Ausblick bis zum Eindunkeln.

Ein bisschen wie Ferien am Meer

Der Wirt organisiert uns dann eine Bootsfahrt mach Agios Achillios für Morgennachmittag, so stellen wir unser Zelt ausgangs Dorf wieder einmal bei einer Kappelle auf und freuen uns über den Schlafplatz mit Seesicht!

Gut beschützter Schlafplatz…
…mit Blick auf den See
Mikrolimni – Agios Achillios / Tagesmotto: Abschied auf Raten

Bis unser Taxiboot am Nachmittag eintrifft, bleibt uns ausreichend Zeit um die Natur am See zu beobachten und ab dem Mittag bieten dann zusätzlich die Restaurant-Besucher Live-Kino.

Unzählige Würfelnattern bewohnen den Prespa-See
Fischfang mit Erfolg

Pünktlich werden wir abgeholt und vom Restaurant-Personal herzlich verabschiedet. Bald 24 Stunden sind es her, seit wir angekommen sind und wie so oft, sind die Menschen zuerst neugierig und nachdem sie unsere Reisepläne kennen, fast etwas ehrfürchtig! Einmal hat uns ein Einheimischer ernsthaft gefragt, ob wir berühmt seien…

Mit der Bootsfahrt ersparen wir uns nochmals 20 km Asphalt-Treten

Im Dreiländereck Griechenland-Albanien-Nordmazedonien befindet sich das grenzüberschreitende Naturreservat Prespa-Park, welches den kleinen und grossen Prespa-See umschliesst. Die beiden Seen sind ein Paradies für viele seltene Wasservögel, sie brüten auf schwimmenden Schilfinseln, dadurch ist die Brut vor Räubern wie Füchsen und Mardern geschützt.

Besonders beeindruckend ist die mit ca. 3’000 Krauskopfpelikanen weltweit grösste Kolonie dieser Vogelart. Mit Erfolg haben die drei Länder die 1980 auf rund 200 Vögel geschrumpfte Kolonie wieder steigern können. Interessierte finden in der folgenden Dokumentation mehr zum Naturpark: ,Im Herzen des Balkans: Die Pelikane vom Prespa Park‘.

Unser Schiffstaxi führt uns an wunderschöne Plätzchen zur Beobachtung von Krauskopfpelikanen
Mit einer Flügelspannweite von ca. 3m einer der grössten fliegenden Vögel
Hunderte von Wasservögeln auf der Schlafplatzsucbe (Zwergscharben, Seidenreiher, Rallenreiher, usw.)
Im Seerosen-Paradies

Damit wir doch ein bisschen in Übung bleiben, durchstreifen wir während der Nachmittagshitze die Halbinsel zu Fuss. Sie ist nicht nur ein Naturparadies, sondern begeistert auch mit ihren historischen Bauwerken.

Basilika aus dem Jahr 1000 n.Chr. mit Statuen aus dem 21. Jahrhundert
Ganz ohne Gipfel kommen wir nicht durch den Tag
Keine Drohnenaufnahme, sondern Aussicht auf die schwimmenden Inseln vom Hügelkamm aus

Es wird uns immer mehr bewusst, dass wir Griechenland bald verabschieden müssen. Und es fällt uns schon etwas schwer. Sehr schwer. Sauschwer. Vielleicht häufen sich deshalb unsere Pausentage so sprunghaft? Falls unsere geplante Route funktioniert, könnten wir in zwei Tagen bereits in Nordmazedonien unterwegs sein!

Die jungen Inselferkel wünschen uns schon Mal Schwein in Nordmazedonien
Agios Achillios – Agios Germanos / Tagesmotto: Agios zum Letzten

Thomas kann sich kaum von den Vögeln lösen und Sonja findet immer einen Grund zum Bleiben.

Haubentaucher mit Frischfisch für ihr Junges

Immerhin schaffen wir es bis zum übernächsten Dorf, zu den heiligen Deutschen. Aber das Abnabeln von Griechenland klappt heute noch nicht, die Heiligen (Agios) und unsere inneren Glücksschweine gewinnen nochmals. Wieso auch hetzen? Der Alltag kann warten!

Die nordmazedonische Grenze ist nun greifbar nah, bereits heute haben wir einen alten, verlassenen Grenzposten passiert. Unsere geplante Route ist noch mit einigen Fragezeichen gespickt, denn ein offizieller Pfad über die Berge existiert nicht, sonst wäre der Eintritt in den EU-Raum aus den Balkan-Staaten wohl zu einfach. So sind wir sehr gespannt, ob die 4 km weglose Passage ab dem Gipfel Despotiko (2334 MüM) für uns machbar ist. Vielleicht helfen ja die Glücksschweinchen… Aber es gibt immer eine Lösung, das ist tief in unserem Urvertrauen verankert!

Dieser Bergkamm zeichnet die Grenze zwischen Griechenland und Nordmazedonien

So geniessen wir total bewusst unseren letzten freien Nachmittag auf griechischem Boden und rechnen fest mit einem Wiedersehen, aber hoffentlich nicht schon in zwei Tagen.

Wahrscheinlich letzte griechische Siesta mit Tsipouro

Wie geplant sind wir vier Wochen in Griechenland unterwegs gewesen und haben in dieser Zeit etwa 450 km zu Fuss zurück gelegt. Wir haben uns extrem wohl und willkommen gefühlt: herzliche Menschen, tolles Essen, überraschende Sauberkeit, spontane Einladungen, interessante Gespräche, wilde Natur, hohe Toleranz, neugierige Begegnungen, kulturelle Verwurzelung, stolze Heimatverbindung und und und…

Wir sind tief berührt und unendlich dankbar für die unvergesslichen Tage in Griechenland

Bis bald aus Nordmazedonien, so hoffen wir. Und sonst halt wieder aus dem hellenischen Reich!

Nestorio – Agios Germanos

1 Kommentar

Reini · Juli 5, 2021 um 22:29

Ihr vermutet auch, dass auf der Foto vom Prespasee eine Würfelnatter zu sehen ist? Tolle Aufnahme. Auch die „Statue“ mit Sonja ist pfiffig.
Viel Glück auf dem unbekannten „Weg“ über die bewaldeten Berge Richtung Nordmazedonien!
So, und Ihr bückt Euch nicht mehr über jeden Bärendreck?? Haha!

In Gedanken öfters mit Euch unterwegs…
Reini

Schreibe einen Kommentar

Avatar-Platzhalter

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert